Bezüglich göttlicher Eingebung
von Don Webb VI°
Während meiner Zeit als Hohepriester wurden mir Jahr für
Jahr einige Unterlagen zugesandt, die für sich in Anspruch
nahmen, inspiriert worden zu sein - entweder von Set oder von jemand
Anderem. Diese kamen im Wesentlichen von Leuten, die unter
sofortiger Gewährung eines höheren Grades Aufnahme in den
Tempel suchten, einige wollten gar gleich mit meinem Job
beginnen. Sehr wenige Personen glauben, dass jeder den Tempel als I°
betritt. Meine Standardreaktion auf diese Zusendungen war sie zu
lesen und sodann entweder wegzuwerfen oder aber, sofern sie denn
perfekt gebunden waren, an den örtlichen Laden für
gebrauchte Bücher zu verkaufen.
Der Grund, weshalb ich diese amüsanten kleinen Schriften nicht
aufbewahrte, war, dass ich sie nicht in meinem Bücherbestand
haben will, wenn ich sterbe - würde das diesen Büchern
doch eine schauerliche Legitimät verleihen.
Dies wirft die Frage auf, wie ich beurteilen konnte, dass diese
Schriften nicht göttlich inspiriert waren.
Tatsächlich denke ich, dass einige von ihnen es teilweise waren
- ebenso wie mein Fernseher irgendwie den Verkaufssender aus dem
Kabelfernsehen empfängt, an das er nicht angeschlossen ist. Die
Botschaft, die Set in den Kosmos entsendet, ist in ebensolchem
Maße ein Teil von dessen Hintergrundgeräusch wie das
Infrarot des Urknalls. Doch die meisten Instrumente können sie
nicht gut auffangen. Selbst wenn es uns gelingt, so ist sie dennoch
gefiltert durch Geschichte, Biologie, Kultur und das, was wir
zufällig gelernt haben, durch alles nur Erdenkliche.
Was also wären die Eigenschaften eines inspirierten Textes?
-
Er wiese ein Mandat zum Handeln auf. Er kommt aus den daimonischen
Gefilden um hier etwas in die Wege zu leiten. Etwas, das NUR hier
stattfinden kann.
-
Er wiese sofortige und ewig gültige Mandate zum Handeln
auf. Berührt das daimonische Reich das unsere, so ist dies
sowohl zeitlos als auch unmittelbar.
-
Er wiese eine fremdartige Poesie auf. Er würde nicht wie ein
gut geschriebenes Gedicht wirken, sondern wie etwas von
großer Bedeutung, das die Grenzen der Sprache, in die es
gegossen ist, zu durchbrechen sucht.
-
Der Adressat des Textes würde die Notwendigkeit
verspüren, die Umstände des Erhaltes zu
erläutern. Selbst bei den egoistischsten Kanälen -
nehmen wir Crowley als Beispiel - ist es wichtig, diese Worte als
von den vielen anderen als losgelöst zu betrachten, die von
dieser Person niedergeschrieben wurden.
-
Er zeigt Wirkung auf Leute, die ihn hören, selbst wenn diese
skeptisch sind.
-
Er kommt zu einer Zeit großer, möglicherweise gar
katastrophaler Umwälzung im Leben des Rezipienten -
während solcher Momente sind wir den göttlichen Gefilden
näher. Dies verdeutlicht den wichtigen Umstand, dass das
Überwinden großer Schwierigkeiten ein Zeichen
göttlichen Potentiales darstellt. Erst nachdem man sich vom
sich überschlagenen Auto entfernt hat, beginnt man die
Kräfte zu erahnen, über die man verfügen mag.
-
Seine philosophischen Prinzipien sind in poetischer Sprache
verfasst. Dies bedeutet, der Verstand muss danach trachten sie zu
verstehen - und sich hierdurch in ein höheres Stadium der
Bewusstheit erheben. Dies bedeutet für gewöhnlich, es
gibt etwas im Leben des Adressaten, das dieser tun muss um den
Text zu verstehen. (In den Texten, die mir zugeschickt wurden, war
der philosophische Teil für gewöhnlich in einer Weise
ausgefertigt, für die man im ersten Jahr als
Philosophiestudent wahrscheinlich eine '2' erhalten würde -
und dieser Teil des Textes war dargestellt als von einer Gottheit
stammend, die ihre Kosmologie erläutert.)
-
Er wird einige rätselhafte Ausdrücke und Bilder
haben. Diese werden den Sinn des Textes nicht beeinträchtigen
oder verschleiern, aber für eine zusätzliche Bedeutung
sorgen, wenn ihr Wesen entdeckt wird. Beispielsweise hatte das
Siegel des Set, welches das Book of Coming Forth by Night
beschließt, eine von Set (Bata) genutzte Wendung aus der
Erzählung von den zwei Brüdern, doch blieb diese
Bedeutung verborgen, bis ich eher zufällig darauf
stieß. Das Wissen um den Ursprung der Wendung "So lasst
denn meine Edlen zu mir gebracht werden" macht das Werk
signifikanter, dies nicht zu wissen verringert hingegen die
Bedeutung des Effektes dieser Worte.
-
Andere Leute, die von diesem Text hören, wollen ihn unbedingt
haben; obwohl sie nicht recht wissen, weshalb. Dies liegt daran,
dass in vielen die Sehnsucht nach Licht und Leben liegt - nicht
jedoch die Stärke zu verstehen, dass Licht schwarz und Leben
rot ist. Sie verlangen, erreichen und leiden - doch da sie nicht
halten können, wonach sie greifen, widmen sie oftmals ihr
Leben jenen zu schaden, die es können.
Man darf sein Leben nicht auf inspirierte Texte aufbauen. Es
genügt nicht, in irgendeiner Schrift nach der Antwort auf die
eigenen Fragen zu suchen. Derartige Texte sind gut darin, dass sie
der Psyche etwas über ihre Quelle und über sie selbst
mitteilen. Dieses Wissen kann dem Psyche-Verstand-Körper-Komplex
helfen, jene Orte zu finden, wo er sich für ein besseres,
stärkeres Leben schulen mag. Doch die Schulung erwächst
dem Handeln und Reflektieren über das, was erarbeitet
wurde. Die Bedeutung, die darin gefunden wird, ist mächtiger
als jeder Text, und die Bedeutung, die von der Psyche in die Welt
freigesetzt wird, ist die wirkliche transformierende Kraft, die Set
nutzt, um die Welt und die Potentiale der Menschheit zu erneuern und
auszubauen.
Ave Set!
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(c) 2006 Temple of Set. Übersetzung von LV I°